Freitag, 25. März 2011

Das Beben und danach

Ich habe lang überlegt, ob ich den Text veröffentlichen soll, oder nicht. Es ist mir eigentlich zuwider, mich in dieser Situation selbst zu vermarkten. Trotzdem glaube ich, dass viele Leute wissen wollen, was mir passiert ist. Es geht hierbei nicht um Fakten, Insider Infos oder sonst irgendetwas. Sondern nur darum, was ich erlebt habe. Bis auf Grammatik, Rechtschreibung und die kursiv geschriebenen Erklärungen habe ich nichts an den Tagebuch-Einträgen geändert. Die Fakten, die darin stehen sind nicht unbedingt richtig, sondern so, wie ich sie verstanden habe.

2007 habe ich 4 Monate bei einer jap. Gastfamilie gelebt und bin auf eine jap. High School in Ibaraki gegangen. 2009/2010 habe ich 8 Monate in Tokyo gelebt und mit einem Working Holiday Visum ein Praktikum gemacht. Aufgrund von Semesterferien wollte ich vom 1. März bis 30. März in Japan meine Gastfamilie und Freunde besuchen.

Okaasan ist meine Gastmutter.




11.3 Tag des Bebens

Mein vermeintlich letzter Tag in Kita-Ibaraki. Okaasan bringt mich zu Takahashis (Ein mit meiner Gastfamilie befreundetes, älteres Ehepaar) und fährt selber nach Hitachi. Wir gehen Yakiniku essen, fahren in der Gegend rum und schauen uns Sachen an.

Um kurz vor 3:00 Uhr fahren wir nach Otsuko an den Hafen, um das Meer anzuschauen. Wir fahren die Hafenstraße entlang, höchstens 10 Meter vom Wasser entfernt. Es sind keine anderen Autos unterwegs. Erst denke ich, sein Fahrstil ist gewöhnungsbedürftig. Dann denke ich, er macht Späße, weil die Straße so groß und breit ist und frage mich, wie er es hinkriegt, dass das Auto so unkoordiniert herum hüpft. Dann schaue ich zu dem Klippen am Meer und denke erst mal gar nichts mehr. Eine riesige gelbe Staubwolke entsteht, als ein Teil der Klippe ins Wasser fällt. Erdrutsch! Erdbeben! Raus aus dem Auto! Das macht die Sache auch nicht besser, denn die Straßen reißen auf. Das war‘s. Ich ertrinke. Da bin ich mir sicher. Die Leute kriegen Panik und laufen rum. (Die Leute am Hafen haben Angst um ihre Schiffe) Kurzer Wortwechsel zwischen Takahashi und irgendwelchen Leuten vom Hafen. Es hört auf zu Beben, also schnell ins Auto und weg vom Wasser, weg vom Hafen. Ich verstehe die Nachrichten im Radio nicht. Gott sei Dank, denn später sagen sie mir, es hieß, dass innerhalb 10 Minuten ein Tsunami kommen sollte. Schaut man in Richtung Berge steigt überall gelber Staub und Rauch auf. Die Straßen sind alle aufgerissen, die Ziegelsteine fallen von den Dächern. Auch wenn viel mehr als sonst auf den Straßen los ist (und obwohl die Ampeln nicht gehen), kommen wir relativ gut bis nach Isohara (So weit hoch, dass uns kein Tsunami mehr treffen kann). Dann bebt es wieder. Warnblinker an und stehen bleiben. Und hoffen, dass es gleich wieder aufhört. Während wir den Berg weiter hochfahren, bebt es Gott sei Dank nicht. Als wir ankommen fängt es wieder an. Wo soll man hin, wenn die Erde unter einem nachgibt? Wir stehen vor dem Haus, wie auch alle Nachbarn. Auf die Straße stellen, damit nichts auf einen drauf fällt. Möglichst nicht unter irgendwelche Stromleitungen. Es bebt und bebt immer wieder, kurz und stark. Das Haus ist von Außen Gott sei Dank nicht beschädigt. Ich traue mich trotzdem nicht rein. Irgendwann wird es kälter und kälter und die Beben schwächer (stimmt nicht, aber man gewöhnt sich mehr an sie). Es ist sicher schon eine Stunde seit dem großen Beben vergangen. Wir räumen drinnen auf, hängen Dinge von den Wenden ab, kleben die Schränke mit Tape zu, kehren Scherben auf. Handys funktionieren nicht, also kann ich Okaasan immer noch nicht erreichen. Es bebt immer noch alle paar Minuten, am Anfang renne ich jedes mal raus, irgendwann kriegt man ein Gespürt dafür, wie groß es ist. Wir hören die ganze Zeit Radio und ich fange an die Dinge, die die Nachrichtensprecher sagen, zu verstehen. Das Zentrum des Bebens hat sich über 300 km von Miyagi über Fukushima nach Ibaraki gezogen (Stimmt nicht, dass Epi-Zentrum des Bebens war auf Höhe von Sendai, einige Kilometer weiter östlich im Meer). Die Auswirkungen waren in ganz Japan zu spüren. Shindo 7, Magnetude (Richter-Skala) 8,irgendwas. Tsunami-Warnungen überall an der Westküste. Bis zu 20m hoch. Von Okaasan immer noch nichts gehört. Mir ist schlecht. Ich würde gerne weinen, aber ich verkneife es mir. Bin ja ein großes Mädchen. Es ist sau kalt. In Japan gibts ja keine Heizungen, sondern nur Aircons, die man auf warm stellt. Allerdings geht kein Strom, also nix mit Aircon. Es läuft auch kein Wasser. Gott sei Dank haben Takahashis so einen Heizstrahlen, der mit Öl betrieben wird. Es wird dunkel. Stockdunkel. Bis auf ein zwei Taschenlampen und die Scheinwerfen der Autos ist nichts zu sehen. Weil es drinnen so kalt ist, bleiben viele Leute draußen bei laufendem Motor im Auto sitzen.

Sie wollen Essen machen. Gyouza. Ich könnte allein bei dem Gedanken schon kotzen. Mir ist so übel. Aber sie sagen es ist wichtig zu essen. Wo sie Recht haben, haben sie Recht. Allerdings komm ich gar nicht erst zum Essen, da Okaasan auftaucht. Endlich! Sie war während dem Beben im Auto, kurz vor Hitachi, ist dann sofort umgekehrt und hat aufgrund von Verkehr und Umleitungen vom Meer weg 3 Stunden zurück gebraucht. Die Große Frage: Ist das Haus und unsere Sachen ok? Taschenlampe eingepackt und los.

Es ist stockdunkel, von Außen sieht das Haus aber ok aus. Die Nachbarn scheinen alle geflohen zu sein, keine Autos, keine Lichter, nichts. Als wir die Tür aufmachen, sind im Eingang überall scherben. Wieso muss sie auch überall Blumen aufstellen? Ab ins Wohnzimmer. Ich packe so schnell es geht die wichtigsten Sachen zusammen: Handys, Ipod, Aufladegerät, Pass, Geld und möglichst warme Klamotten, was mir nur so halb gelingt, da ich natürlich meinte ich muss im März nach Japan nur Kleidchen mitnehmen .. hmm ..

Okaasan packt ihr Zeug zusammen. Das Wasser funktioniert noch, wir gehen beide aufs Klo und trinken noch ein Glas. Die Dinge, die uns bei dem spärlichen Licht auffallen, räumen wir zusammen auf. Die Beben sind schwach aber kommen immer noch im 10 Minuten Abstand. Es ist so dunkel, dass ich das Gefühl habe, das Haus und wir samt dem könnten jederzeit vom Tsunami erwischt werden. Aber auf der Straße weiter unten fahren Autos, also kann das nicht sein.

Wir fahren zurück zu Takahashis. Auf den Straßen liegen überall Steine von zerstörten Mauern. Es ist niemand mehr unterwegs. Wir kommen an und ich würge mir 2 Gyouza und ein bisschen Reis rein. Die ersten SMS aus Deutschland kommen an: „Bist du ok? Wo bist du?“ „Ja, alles ok.“

Mir geht es sichtlich schlecht und der Fakt, dass ich nicht esse beunruhigt die Japaner. „Keine Sorge, auch morgen wird die Sonne wieder aufgehen.“

Also versuchen wir zu schlafen. Halb unterm Kotatsu, halb unterm Futon zugedeckt. Komplett angezogen, Geld und alle wichtigen Sachen in der Jackentasche, in der einen Hand das Handy, in der anderen die Taschenlampe. Nachbeben kommen die ganze Zeit. Am Anfang schreckt man noch jedes mal auf, macht die Taschenlampe an und will losrennen. Jedes mal wenn man gerade eingenickt ist, wird man durch das Rütteln wieder aus dem Schlaf gerissen. Das Radio läuft die ganze Nacht. Mit einem Ohr höre ich die Durchsagen:

„Tsunami in Miyagi-ken, Fukushima-ken, Ibaraki-ken. Entfernen sie sich vom Wasser und fliehen sie an einen weit oben gelegenen Ort.“ Ding Ding Ding! „Erdbeben Warnung. Ein großes Nachbeben in Nagano-ken, Niigata-ken.“

Das Zentrum scheint sich nach Westen verschoben zu haben. Das Geklingel der Radio Warnungen wird zum Alptraum. Man weiß, jetzt kommt wieder eines. Die Stimme, des Radiomoderators rauscht, so muss man sich wohl während den Bombenwarnungen im Krieg gefühlt haben. Was für eine grauenvolle Art zu schlafen. Ich träume ich bin in Schönstein (Ein Ort im Bayrischen Wald, wo ich als Kind oft das Wochenende verbracht habe). Wohl mein „Safe-Place“. Ich werde von einer bösen alten Frau verflogt, sie schmuggelt mir eine Bombe in Form eines Handys unter. Ich erkenne den Unterschied gerade noch und werfe das Handy in einen See. Es explodiert. Ich wache auf. Die Erde bebt.




12.3 1. Tag nach dem Beben

Sobald es hell wird, stehen wir auf. Wir grillen Mochi auf dem mit Öl betriebenen Heizkörper. Takahashis haben kein Wasser mehr, also fahren wir heim um welches zu holen. Leider zu spät, denn auch hier kommt keines mehr aus dem Wasserhahn. Wir räumen weiter auf, fahren zurück zu Takahashis und verabschieden uns. Dann fahren wir in die Stadt. So schlimm sieht es nicht aus, aber alles hat geschlossen und vor den Konbinis oder Supermärkten, die offen haben, stehen die Leute in einer langen Schlange an. Wir fahren wieder heim. Es ist 8 Uhr. Wir warten. Gegen 12 fahren wir wieder los. Es ist immer noch viel los, aber wir haben Glück und müssen nicht lange anstehen und können was zu Essen kaufen. Wir fahren wieder heim und essen zu Mittag. Ich bin am Ende meiner Kräfte und schlafe für 3 Stunden. Es bebt immer noch alle paar Minuten. Ich wache gegen 4 auf. Keine Nachrichten zu hören bringt uns um, also wieder ins Auto, Radio an und Richtung Hafen. Als wir in Otsuko ankommen, sind wir geschockt. Die Straßen sind verdreckt und aufgerissen. Wieso ist alles so schmutzig? Dann kommt es uns. Das Wasser ist bis hier hin gestiegen. Okaasan hat Familie, die direkt am Meer lebt. Wir fahren Richtung Hafen weiter. Die Häuser sind alle eingestürzt, wir kommen nicht weiter, also steigen wir aus und gehen zu Fuß. Alles ist feucht, alles ist eingestürzt, alles ist zugemüllt. Autos liegen herum wie Spielzeug. Auf dem Kopf, übereinander, an Wände gelehnt. Mir ist schlecht. Wir rennen bis zum Hafen. Okaasans Onkel räumt in dem komplett zerstörten Haus rum. Alle leben, nur der Hund ist gestorben.

Der Hafen. Hier stand ich, als das Beben geschehen ist. Die Schiffe liegen verkehrt herum auf der Straße, Okaasan stolpert über Fischernetze die am Boden rumliegen. Es ist Chaos, ein riesen Chaos. Wir kehren zum Auto zurück. Wir treffen auf eine Frau, bei der Okaasan immer Blumen kauft. Der Laden ist zerstört. Sie schlafen alle in der Schule. Es ist kalt. Wir haben alle Tränen in den Augen. Aber die Blöße gibt sich niemand. Wir gehen zurück zum Auto und fahren nach Isohara, wo Okaasan auch Familie direkt am Meer hat. Es wird dunkel. Der Tsunami ist nicht bis zu dem Haus gekommen. Gott sei Dank! Sie geben uns Wasser und sagen, dass es in Iwaki noch Benzin gibt. Wir fahren heim, essen. Okaasan macht viel zu viel. Sie ist viel zu verschwenderisch, ich würde am liebsten gar nichts essen (und somit alles schlecht werden lassen). Ich nehme an wir ergänzen uns gut.

Es ist 7. Trotz Mittagsschlaf bin ich tot müde. Es ist stockdunkel und es gibt nichts zu tun. Also legen wir uns schlafen. Die Beben kommen immer noch im 20-30 min Abstand. Wir schlafen von 8 bis es hell wird um 6.




13.3 2. Tag nach dem Beben

Wir fahren morgens los, kaufen ein. Zeitung. Ein wenig Information. Das ist eine Erleichterung. Von Deutschland kommen grauenvolle Nachrichten. AKW explodiert, ich soll fliehen. Die Frage ist wie? Ohne Wasser, ohne Strom, ohne Zug, ohne Benzin. Wir finden ein Telefon, rufen Okaasans Schwester, das Krankenhaus an. Mama schickt mir die Nummer der Botschaft, also rufe ich an. Sie sagen, sie können mir die Entscheidung nicht abnehmen, aber ich soll mir überlegen, das Land zu verlassen. Auf die Frage „Wie?“ haben sie keine Antwort. Aus Deutschland Panik Nachrichten. Mir ist schlecht. Was soll mir das jetzt bringen, dass sich alle Sorgen machen? Außer das es mir noch schlechter als eh schon geht. Mir kommen im Auto die Tränen. „Du musst jetzt stark sein“, sagt Okaasan. „Weinen bringt da nichts!“

Wir fahren nach Iwaki, in Richtung AKW, aber finden die besagte Tankstelle nicht. Wahrscheinlich gibt es eh schon kein Benzin mehr. Wir fahren zurück. Ich wasche mir die Haare. Wer hätte gedacht, dass das mit so wenig Wasser geht. Faszinierend. Nach dem Essen gehen wir wieder Wasser bei Okaasans Familie holen. Es ist 3. Die Zeit vergeht aber auch überhaupt nicht. Also schlafe ich wieder. Ich bin nicht unbedingt müde, aber erschöpft. So erschöpft. Als ich um 6 aufwache ist es schon fast dunkel. Wir kochen. Wieder zu viel. Ich bin still und esse brav. Es ist faszinierend, wie viel sie mit so wenig Sachen zubereiten kann. Wir lesen die Zeitung. Die Bilder sind schlimm. Das AKW ist 80-90km entfernt und es heißt sie versuchen die Sache unter Kontrolle zu halten.

Wir gehen wieder früh ins Bett. Es gibt ja nix zu tun. Es ist dockdunkel. Ich weine. Leise, so das Okaasan es nicht hört. Mein Mittagsschlaf war wohl doch zu spät. Ich kann überhaupt nicht schlafen. An was soll man in so einer Situation denken? Nichts trauriges, sonst kann ich nicht schlafen. Was schönes fällt mir aber irgendwie nicht ein.




14.3 3. Tag nach dem Beben

Wir wachen auf, kurz nachdem es hell wird. Futon in den Schrank. Ich wasche mich mit so wenig Wasser wie möglich. Machen wir uns nichts vor, ich stinke wahrscheinlich ohne Ende. Ich wasche meine Unterhosen und mein Schlaf T-shirt. Per Hand. Das ist ziemlich anstrengend. Dann Frühstück. Heut ist es schon weniger als sonst. Udon und eine Suppe. Wir fahren einkaufen, ein paar Sachen. Dann ans Telefon. Die Botschaft sagt, es gibt Möglichkeiten aus Ibaraki weg zu kommen, ich soll in einer Stunde nochmal anrufen. Ich rufe Viktor an, bei ihnen scheint alles ok zu sein. Ich sage es fahren keinen Bahnen. Er meint ich soll den Bus nehmen. Ich sage ich bin froh, wenn wir morgen noch was zu essen haben. Stille. Pass auf dich auf! Ja, ich melde mich, wenn es News gibt.

Vor einer Tankstelle stehen die Leute an. Okaasan will sich einreihen. Die Schlange der Autos ist ewig. Ich steige aus und gehe zum nächsten Telefon, rufe die Botschaft nochmal an. Während ich warte sprechen mit Leute an. Beruhigend zu wissen, dass sie ein ausländisches Mädchen nicht alleine lassen würden. Die Botschaft sagt mir, dass von Mito (Hauptstadt der Präfektur Ibaraki, ca. 150km nördlich von Tokyo und 60km südlich von mir), aus ein Bus fährt. Bis dahin muss ich mich leider alleine durchschlagen. Was Strom und das AKW angeht hätten sie leider keine weiteren Infos. Sie wünschen mir Glück. Das wars. Mehr nicht. Da ich bis Mito einfach nicht komme, wars das wohl.

Wir fahren heim. Es gibt nichts zu tun und wir erfahren hier ja auch nichts neues, also fahren wir Wasser holen und eine Zeitung kaufen. Dann fahren wir ins Rathaus. Im Radio heißt es, dass AKW ist explodiert und die Evakuierungszone ist auf ganz Iwaki erweitert (Die Stadt Kita-Ibaraki, in der ich bin, grenzt an Iwaki). Ibaraki ist wohl noch ok, aber die Leute sagen schon, man sollte wohl besser fliehen. Wahrscheinlich ist es eh schon zu spät. Ich trage brav Maske.

Im Rathaus kann man sein Handy aufladen. Okaasan und ich stellen uns an. Typisch japanisch, top organisiert. 10 Personen, je 1 Handy, Aufladegerät selber mitbringen, falls man keines hat, können sie begrenzt ausleihen. 5 Minuten. Mehr nicht. Dann wieder neu anstellen. Ich höre auf zu zählen, wie oft ich mich anstelle. Wir sind sicher 4 Stunden hier. Immer 5 Minuten. In der Wartezeit schreibe ich das hier. Manchmal ist wenig los, dann kan man zweimal hintereinander. Dann ist es wieder voll und man muss länger warten. Ich höre die Anweisungen des Typen zum x-ten mal. Aber mir solls recht sein. Zuhause gibts ja eh nix zu tun und so kann ich mich wenigstens bei Mama und Papa melden ohne Angst zu haben, dass der Akku gleich leer ist. Im Rathaus geht die Spülung...

Wir Unterhalten uns mit den Leuten die anstehen. Es gibt viele, die im Rathaus unterkommen, weil ihr Haus zerstört ist. Vor allem die Frauen mit kleinen Kindern haben Tränen in den Augen. Zusammen sein spendet Trost.

Um 5 hören wir auf und fahren heim. Als wir reinkommen brennt das Licht im Bad. Strom!! Auch wenn unsere Handys jetzt schon aufgeladen sind, hängen wir alles an, was geht. Fernseher an, er funktioniert nicht. Dann eben Radio. Es dauert eine Weile, bis wir einen gut verständlichen Sender finden. Dann Mama anrufen. Dann Papa. Beide sind ganz aufgelöst, aber am Ende des Gesprächs geht es uns allen gut. Man darf nicht vergessen, dass die Japaner top organisiert sind und sich bisher bei Krisenbewältigung immer mehr als gut geschlagen haben. Das beweist ja das Panik nichts bringt und Ruhe bewahren das beste ist. Ich schreibe Nodoka und den Mädels. Wir kochen Reis. So viel es geht. Wer weiß wie lange wir noch Strom haben. Zum Abendessen gibt es wie immer zu viel. „Andere Menschen haben gar nichts zu essen, also iss!“ Sie hat Recht und ich stopfe mir das Zeug rein. Sie telefoniert mit Otousan (Ihrem Mann, der in Reha weiter südlich ist), Miho (Ihrer Tochter, die in Amerika ist) und ihrer Schwester (die in Yokohama wohnt). Ich schlafe gegen 9, während sie noch telefoniert ein. Als sie ins Bett kommt (wir schlafen nebeneinander in Futons im Wohnzimmer), sagt sie, dass es am 16. ein schweres Nachbeben geben soll. Ich habe ein mulmiges Gefühl. Dann liegt bestimmt wieder alles lahm. Wir lassen Nachts das Radio laufen und das Fenster aufgesperrt.

Es kommen mehrere schwere Nachbeben, die mich heftig au dem Schlaf reißen. Wie in der ersten Nacht sind wir jedoch durchs Radio informiert. Im Halbschlaf höre ich wieder das „Beben-Warnungs-Klingel“: Ding Ding Ding! Erdbeben in Nagano-ken, Yamagata-ken, Niigata-ken.




15.3 4. Tag nach dem Beben

Als ich aufwache und mein Handy anmache, habe ich lauter SMS von Freunden aus Deutschland bekommen. Das ich antworte hat sich wohl rumgesprochen. Da wir noch Strom und ich somit vollen Akku habe, antworte ich brav.

In Fukushima ist schon wieder was explodiert, aber das sind ja mittlerweile gar keine Neuigkeiten mehr. Wir haben allerdings falls wir fliehen müssen im Auto Getränke, Masken und Tücher verstaut. Das Frühstück wird spärlicher. Gewürzter Reis. Das Wasser aus dem Bad, was wir bisher zum Spülen genommen haben ist bald leer. Okaasan meint wir können immer noch das Trinkwasser nehmen. Ich mache mir lieber in die Hosen, bevor ich mehrere Liter Trinkwasser für Spülen verschwende! Wir fahren los und stehen vorm Drugstore an. Okaasan hat gestern gehört, dass es um 9 aufmacht. Tut er aber nicht. Ich finde warten sinnlos und würde lieber nach Benzin suchen, weil das Gerücht umgeht, dass eine Tankstelle offen hat, aber im Endeffekt hab ich ja nichts zu sagen und wir warten. Nach 1,5 Stunden wird der Laden geöffnet. 5 Personen, 5 Minuten. Wie immer top organisiert. Wir rennen rein, eine Angestellte uns hinterher. Sie schreibt auf was wir kaufen, den Preis und passt auf, dass es nicht zu viel ist und wir uns an die Regeln halten. Wir kaufen Cup-Ramen, Reis, Chazuke, Toilettenpapier, Wasser, Tee. Dann kommt die Durchsage: Bitte alle zur Kasse. Unsere tussi gibt den Zettel ab, die Leute rechnen zusammen, wir zahlen und raus. Sobald das Zeug im Auto ist, lachen wir uns erst mal den Arsch ab. So nen krassen Einkauf hatten wir beide wohl noch nie. Dann Wasser holen, zu ihren Verwandten. Die sagen uns wo es Öl gibt. Auf dem Weg dorthin kommen wir am Bahnhof vorbei. Zwei Taxis stehen davor. Wir werfen uns einen viel sagenden Blick zu, steigen aus und ich renne zum Taxi. „Fahren sie bis nach Mito?“ „Ja, aber das dauert.“ Wen kümmert Zeit? Ob ein oder zwei Stunden, ist mir doch egal! Wir lassen uns erst von ihm zu dem Ort, wo es Öl gibt fahren. Dann zurück zum Bahnhof, mit dem eigenen Auto zum Rathaus, denn da geht die Spülung ja. Ein Segen. Aber so geht es ja allen.

Zuhause nehme ich Kontakt mit Viktor und der Botschaft auf. Dann geht alles ganz schnell. Ich stopfe mir Nudeln rein, schmeiße alles in meinen Koffer, gehe aufs Klo. Okaasan ruft das Taxi an und wir gehen raus. Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Ich hätte gedacht ich muss weinen, aber wir reissen uns beide zusammen. Ich sage es tut mir Leid, dass ich sie alleine lasse. Sie sagt sie kommt klar und es tut ihr Leid, dass sie nicht mitkommen kann. Wir umarmen uns. Auf japanisch. Ich entschuldige und bedanke mich. Das Taxi kommt, ich steige ein, sie erklärt dem Taxifahrer alles und wir fahren los. Winken. Bis ich um die Ecke bin. Das ist das erste mal, dass ich mir sicher bin, dass ich sie nie wieder sehe. Vom Taxi aus telefoniere ich wieder mit der Botschaft. Die sagen Narita ist offen. Mama sagt das auch. Also vielleicht doch eher zum Flughafen (und nicht nach Tokyo zu Viktor und Moein)? Es ist wahnsinniger Verkehr. Die Leute stehen Kilometer weit an den Tankstellen an. Wir fahren an den Schlangen vorbei. Wir brauchen ewig bis nach Mito. Über 3 Stunden. Es kostet knapp 20.000Yen.

Mito sieht aus wie in einem schlechten Film. Vielleicht liegt es auch am Wetter. Alles ist grau, geschlossen. Die Straßen sind komplett zerstört. Die wenigen Leuten, die unterwegs sind tragen Maske und schauen auf den Boden, während sie die aufgerissenen Wege englang gehen. Es ist ein Alptraum! Als ich am Bahnhof ankomme ist nix mit Zug, nix mit Bus nach Narita (Die Informationen der Botschaft waren also falsch). Am Bus nach Tsukuba steht eine riesen Schlange. Ich reihe mich ein. Ich warte knapp 1,5 Stunden, dann fahren wir los. 2 Stunden nach Tsukuba. Ich fühle mich schlecht. Ich schreibe mit Jin. Er sagt, er ist froh, dass es mir gut geht. Er ist krank. Schon länger. Aber er sagt mir nicht, was es ist. Jetzt gehts mir noch schlechter. Mama sagt ich soll nach Narita, zum Flughafen. Also probiere ich es. Der Taxi Fahrer (in Tsukuba) sagt er fährt mich. Es dauert knapp 2 Stunden und kostet ca. 17.000Yen. Wir unterhalten uns die ganze Zeit. Er sagt ich soll den Deutschen erklären, was mir passiert ist und nichts verheimlichen.

Ich komme gegen 9 in Narita an. Viele Menschen. Alle Schalter sind geschlossen. Ich telefoniere mit Mama. Sie sagt sie ruft zurück. Ich warte. Gute Nachrichten, sie hat einen Flug. Morgen, 12:10. Direkt nach München. Wenn alles gut geht. Economy. 5000Euro. Da brauch ich mir um ein paar Cent beim Handy oder Taxi echt keine Gedanken mehr machen. Ich habe Internet und Strom. Das allein erleichtert mich schon total. Ich rufe auch Papa und Oma an. Der Platz, wo ich sitze wird mir zu laut, also suche ich gegen 12:00 etwas ruhigeres. Als ich die Halle entlanglaufe schaut mich eine junge Westlerin an: „Reist du alleine?“ Ja. „Willst du dich zu mir setzen?“ Ja.




16.3 5. Tag nach dem Beben

Wir reden, sie ist Norwegerin, reist mit einer Freundin, beide machen Phd in Bio. Sie sind schon länger an allen möglichen Orten unterwegs und hatten einen totalen Horror-Trip. Überall nur Katastrophen. Während dem beben waren sie bei einer japanischen Freundin in Tokyo. Der Gipfel des Eisbergs. Dann fasse ich meine Geschichte zusammen. Sie sagt sie ist froh, dass sie ja dann doch noch Glück hatte. Wir schlafen alle nicht wirklich. Aber es geht uns gut. Wir sind zuversichtlich. Um 5 gehen die Lichter an. Wir schauen auf die Flugtafel. Zwei Flüge sind schon gecancelled. Die Angst kommt wieder hoch. Mir ist schlecht. Ich bin müde. Ich bin 24 Stunden wach, habe seit 17 Stunden nicht mehr richtig gegessen und bin sichtlich am Ende. Mama sagt der Flieger geht. Ich leihe mir einen Stift. Aber selbst schreiben bringt nicht mehr viel Trost. Noch ein bisschen durchhalten. Nicht weinen. Du schaffst das!




Nachtrag:

Sobald die Check-In Schalter geöffnet hatten, ist Chaos am Flughafen ausgebrochen. Es waren so viele Menschen, denen die Verzweiflung tief ins Gesicht geschrieben war. Jeder wollte einfach nur noch aus diesem Land raus. Vor mir am Lufthansa Schalter wurden viele Leute abgewiesen, deren Flüge gecancelled wurden. Die Norwegerinnen hatten Glück. Ihr Flug nach London eine halbe Stunde vor mir, ging reibungslos. Wir haben uns am Check in getrennt. Als ich mein Ticket in der Hand gehalten habe, muss ich so fertig ausgesehen haben, dass mich die Frau vom Bodenpersonal besorgt angeschaut und gefragt hat, ob es mir gut geht. Ich hatte noch Getränke, die ich nicht mit reinnehmen durfte. Ich wollte sie wartenden Leuten geben. Die haben gesagt, ich soll sie wegschmeissen. Während andere Leute in Japan kein Wasser haben. Alles läuft reibungslos und als ich im Flieger sitze, ziehe ich mir eine Maske an und senke den Kopf. Ich habe selbst als das Flugzeug fährt immer noch die Angst im Nacken. Wenn ein starkes Nachbeben kommt, hätte alles umsonst gewesen sein können. Erst als wir Abheben erlaube ich mir leise, den Blick gesenkt in meine Maske hinein zu schluchzen.